Genetisches Screening vor Impfungen ist unnötig

Hypothese

Einige Impfgegner fordern ein genetisches Screening bei allen Kindern vor Impfungen, um mögliche Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Schulmedizin wird daher beschuldigt, diese präventive Strategie nicht zu nutzen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse, die den Nutzen und die Notwendigkeit eines genetischen Screenings vor Impfungen widerlegen
Obwohl Nebenwirkungen nach Impfungen sehr selten sind – auch wenn weltweit jedes Jahr Millionen Menschen geimpft werden –, haben Forscher und Gesundheitsbehörden begonnen zu untersuchen, ob genetische Unterschiede zwischen Personen mit schweren Impfreaktionen und solchen ohne Reaktionen bestehen¹.

Seit 2008 finanzieren die US-amerikanischen CDC (Centers for Disease Control and Prevention), die für die Überwachung der Sicherheit zugelassener Impfstoffe verantwortlich sind, Studien zur Beziehung zwischen genetischen Faktoren und Impfsicherheit. Die meisten dieser Studien laufen noch.

Eine dieser Studien untersuchte in den USA die Sicherheit und Wirksamkeit eines neuen intranasalen Grippeimpfstoffs im Vergleich zum intramuskulären Impfstoff. Die Ergebnisse zeigten keine Verbindung zwischen genetischen Polymorphismen und dem Auftreten von Nebenwirkungen (z. B. Atemgeräusche bei 6 von 99 Kindern mit dem intranasalen Impfstoff und 5 mit dem intramuskulären) oder dem Auftreten von Grippe bei Kindern, bei denen der Impfstoff nicht wirkte (8 von 99, davon 5 mit dem intranasalen und 3 mit dem intramuskulären Impfstoff) ².

Keine der führenden wissenschaftlichen Gesellschaften in Europa oder den USA empfiehlt derzeit genetische Tests vor Impfungen. Diese Praxis wird auch im aktuellen „Red Book“³ – dem wichtigsten Nachschlagewerk für Fachleute im Impfbereich – nicht berücksichtigt.

Es besteht daher der Verdacht, dass hinter der Betonung der Rolle der Genetik bei der Impfprävention kommerzielle Interessen stehen. Über das Internet genügt ein Klick, eine Zahlung per PayPal oder Mastercard, ein Speichel- oder Blutabstrich zu Hause – und das eigene DNA-Profil scheint kein Geheimnis mehr zu sein. So entsteht die Illusion, durch DIY-Tests im Voraus zu wissen, ob eine Impfung schädlich ist oder Nebenwirkungen auftreten könnten. In vielen Fällen handelt es sich um Betrug: Die im Internet angebotenen genetischen Tests haben bislang keinen nachgewiesenen klinischen Nutzen. Sie können sogar Risiken für die Bürger darstellen und zusätzliche Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem verursachen.

Wie sind die Zukunftsperspektiven?

Studien zeigen eine Beziehung zwischen dem individuellen genetischen Profil und der Wirksamkeit von Impfstoffen hinsichtlich der Immunantwort⁴–⁶. Es ist bekannt, dass die adaptive Immunität aktiviert wird, wenn ein Krankheitserreger die erste Verteidigungslinie überwindet und gezielt bekämpft, wird. Die individuelle Immunantwort basiert auf der Aktivität von T- und B-Lymphozyten, die fremde Elemente erkennen und zerstören, spezifische Antikörper produzieren und eine „Gedächtnisfunktion“ für zukünftige Angriffe entwickeln. Diese Mechanismen können von Person zu Person unterschiedlich effektiv sein, weshalb für immungeschwächte Personen spezielle Impfpläne mit höheren Dosen oder mehreren Impfungen vorgesehen sind.

In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung neuer Medikamente auf Basis individueller Genetik interessant. Der Begriff „Pharmakogenomik“ bezeichnet die Erforschung aller Gene, die die Reaktion auf eine Therapie beeinflussen. Sie untersucht genetische Varianten (Polymorphismen), die die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten beeinflussen.

DNA-Tests, die diese Varianten identifizieren, können teilweise vorhersagen, wie ein Patient auf ein bestimmtes Medikament reagiert. In Zukunft könnten Ärzte diese Testergebnisse nutzen, um die passende Therapie auszuwählen, die Dosierung zu optimieren und Nebenwirkungen zu minimieren. Auch bei Impfstoffen gibt es erste Studien, die genetische Faktoren mit Nebenwirkungen in Verbindung bringen⁷–⁸, jedoch existieren noch keine praktischen Anwendungen. Es ist dennoch wünschenswert, dass die Forschung in diesem Bereich fortgesetzt wird, da gerade in der Genetik große Fortschritte für die Gesundheit erwartet werden⁹–¹⁰.

Fazit

Es gibt keine belastbaren wissenschaftlichen Belege, die den Einsatz genetischer Tests für ein Screening vor Impfungen rechtfertigen. Im Internet verbreitete „Do-it-yourself“-Tests sind unzuverlässig und ungeeignet zur Vorbeugung möglicher Impfreaktionen. Die bisher veröffentlichten Studien zur Verbindung von genetischen Tests und Impfungen sind begrenzt und liefern vorläufige, nicht abschließende Ergebnisse. Die weitere Forschung zu genetischem Screening im Zusammenhang mit Impfungen wird jedoch als sinnvoll erachtet.

Quellen / Bibliographie
  1. http://www.cdc.gov/vaccinesafety/Activities/cisa/genomics.html
  2. Miller EK et Al. Atopy history and the genomics of wheezing after influenza vaccination in children 6-59 months of age. Vaccine. 2011 Apr 18;29(18):3431-7. doi: 10.1016/j.vaccine.2011.02.071. Epub 2011 Mar 9
  3. 2012 Red Book, Samuel L. Katz, M.D., FAAP, of Chapel Hill, N.C
  4. Lee YC, Newport MJ, Goetghebuer T, et al. Influence of genetic and environmental factors on the immunogenicity of Hib vaccine in Gambian twins. Vaccine. 2006 Jun 19; 24(25):5335–5340. [PubMed: 16701924]
  5. Tan PL, Jacobson RM, Poland GA, Jacobsen SJ, Pankratz VS. Twin studies of immunogenicity -- determining the genetic contribution to vaccine failure. Vaccine. 2001 Mar 21; 19(17–19):2434– 2439. [PubMed: 11257374]
  6. Klein NP, Fireman B, Enright A, et al. A role for genetics in the immune response to the varicella vaccine. Pediatr Infect Dis J. 2007; 26(4):300–305. [PubMed: 17414391]
  7. Stanley J, Frey SE, Taillon-Miller P, et al. The Immunogenetics of Smallpox Vaccination. The Journal of Infectious Diseases. 2007 Jul 15; 196(2):212–219. [PubMed: 17570108]
  8. Reif DM, McKinney BA, Motsinger AA, et al. Genetic Basis for Adverse Events after Smallpox Vaccination. The Journal of Infectious Diseases. 2008 Jul 1; 198(1):16–22. [PubMed: 18454680]
  9. Davis RL. The vaccine adverse event reporting system and vaccine safety research in the genomics era. Vaccine. 2012 Feb 1;30(6):1162-4. doi: 10.1016/j.vaccine.2011.12.018. Epub 2011 Dec 14.
  10. Poland GA, Ovsyannikova IG, Jacobson RM. Adversomics: the emerging field of vaccine adverse event immunogenetics. Pediatr Infect Dis J. 2009 May;28(5):431-2. doi: 10.1097/INF.0b013e3181a6a511