Die Zukunft der Impfstoffe
Über die Zukunft der Impfstoffe im 21. Jahrhundert nachzudenken, ist ohne einen Blick in die Vergangenheit nicht möglich. Dank der Pioniere der Impfungen und einer Handvoll Impfstoffe, die mit „hybriden“, teils empirischen und teils wissenschaftlichen Methoden hergestellt und angewendet wurden, konnte eine beeindruckende Verringerung der Infektionskrankheiten erreicht werden.
Die weltweite Ausrottung der Pocken ist in diesem Zusammenhang emblematisch. Wenn man sich die jüngere Vergangenheit und die Gegenwart ansieht, stellt man fest, dass in den letzten zehn Jahren viele wertvolle Impfstoffe zur Verfügung standen, wie die monovalenten Konjugatimpfstoffe gegen Meningitis C, der vierwertige konjugierte Impfstoff gegen Meningitis ACYW-135, der siebenwertige und der dreizehnwertige konjugierte Impfstoff für Infektionen mit S. pneumoniae und der Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs. Dennoch bleiben viele Probleme ungelöst, wie das Auftreten oder Wiederauftreten neuer Infektionskrankheiten der Wende des 20. und 21. Jahrhunderts, nämlich Aids, SARS, die Grippepandemie 2009/10, Cholera, Denguefieber, Tuberkulose usw.1
Gleichzeitig ist es interessant zu bedenken, dass Impfstoffe zur Heilung einiger wichtiger degenerativer Erkrankungen wie Gebärmutterhalskrebs beitragen. Die Hoffnungen, die auf Impfungen zur Verbesserung des Gesundheitszustands der Bevölkerung gesetzt werden, basieren auf dem kontinuierlichen Fortschritt von Wissenschaften wie der Immunologie. Tatsächlich ermöglicht diese ein immer besseres Verständnis der Funktionsweise des Immunsystems, wie zum Beispiel eine genauere Definition der Beziehungen zwischen den Zellen, das Verständnis der Kommunikationswege zwischen diesen Zellen, die Rolle dieser Zellen, die Bedeutung löslicher Mediatoren (Lymphokine, Ergänzungen, antibakterielle Proteine usw.) der zellulären Immunität, die Identifizierung und Definition der Rolle der zellulären Rezeptoren (Toll-Like-Rezeptoren) usw., und eröffnet heute neue Wege für die Entwicklung neuer Impfstoffe. Viele Probleme müssen jedoch noch gelöst werden. Pathogene Mikroorganismen können nur überleben, wenn sie den natürlichen oder künstlichen Abwehrkräften, die unser Körper aufbaut, widerstehen oder sie umgehen. Ebenso wie phylogenetisch höher entwickelte Organismen besitzen sie die Fähigkeit, wenn auch auf unterschiedliche Weise, sich zu verändern. Ein Beispiel hierfür ist das Grippevirus, das die Fähigkeit besitzt, sich geringfügig zu verändern und so saisonbedingte Grippeepidemien hervorzurufen oder es verändert sich in eine bisher unbekannte Form und löst auf diese Weise Pandemien aus. Ein weiteres Beispiel sind die Meningokokken, die ein umfangreiches „Carnet“ von Kapselantigenen und eine große Fähigkeit zur Veränderung von Oberflächenantigenen wie Lipopolysaccharid (Lps) besitzen. In den letzten beiden Fällen waren die Forschungsfortschritte beeindruckend und führten zur Herstellung künstlicher Viren, die sich ideal zur Erzeugung neuer Impfstoffe eignen, und zu einem Ansatz: der „Reverse vaccinology“ (Kombination von molekularbiologischen und computergestützten Techniken), die die Entwicklung des Impfstoffs gegen Meningitis B ermöglichte und Perspektiven für die Impfprävention auch anderer Krankheitserreger wie Streptokokken der Gruppe B und A, Streptococcus pneumoniae und antibiotikaresistenten Staphylococcus aureus2 bietet.
Auch wenn bisher Methoden zum Nachweis der Immunantwort auf Impfstoffe entwickelt wurden, um Antikörper zu dosieren, wird in Zukunft die Bewertung der zellvermittelten Immunität dank neuer Labormethoden wie Elispot (mit dem die von ihnen produzierten Zellen gezählt werden können), der Messung intrazellulärer Interleukine (ICCs) und der Möglichkeit, die Rolle einzelner Antigenepitope bei der zellvermittelten Reaktion zu untersuchen, immer häufiger eingesetzt. Gleichzeitig lohnt es sich, einige andere wichtige Aspekte der modernen Impfstoffforschung hervorzuheben, nämlich: die Verwendung immer neuer Substanzen, die den Immunstimulus von Impfstoffen verstärken (wie Öl-Wasser-Mischungen [MF-59] oder AS04 [Monophosphoryllipid A]), die notwendige Entwicklung von Kombinationsimpfstoffen für die Impfroutine (denken Sie an die in Europa verwendeten sechswertigen Impfstoffe und an fünfwertige Impfstoffe in vielen anderen Ländern der Welt); die Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten von Impfstoffen mit der Perspektive, therapeutischen Impfstoffen zu erzeugen (man denke an die Studien zu den Onkogenen E6 und E7 von Papillomviren und an die Forschungen zu den funktionellen Genen Gag und Tat von HIV, um die Replikation des AIDS-Virus zu unterdrücken); die Verwendung neuer Wege zur Verabreichung von Impfstoffen (z. B. Aerosole für den Grippe- und Masernimpfstoff; die orale Verabreichung über transgene Lebensmittel oder die rektale oder vaginale Verabreichung, die transdermale Verabreichung über geeignete Impfmethoden); die Möglichkeit, neue Kategorien von Zielpersonen zu impfen (Jugendliche [HPV, Keuchhusten, Meningokokken, Cytomegalievirus, Herpes genitalis], Erwachsene [Influenza, Pneumokokken-Impfstoffe, Windpocken], Schwangere [Gruppe-B-Streptokokken-Impfstoff, Pneumokokken, Influenza usw.], Reisende, Personen, die im Krankenhaus behandelt werde müssen [ein Impfstoff gegen Staphylokokken- und Candida-Infektionen wird derzeit entwickelt], ältere Menschen [Tetanus, Influenza, Pneumokokken-Impfstoffe und Herpes-Zoster-Impfstoffe]).
Es ist erwähnenswert, dass Impfstoffe zunehmend eine wichtige Waffe zur Vorbeugung von Tumoren werden. Ein Beispiel hierfür ist der Impfstoff gegen Papillomviren, der auch zur Bekämpfung von anderen Tumoren verwendet werden kann. Vor ihm wurde ein Impfstoff entwickelt, das erste rekombinante DNA-Fragment, der zur Vorbeugung von Leberkrebs beiträgt und hoffentlich mit der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Helicobacter pylori in Zukunft zu einer wichtige Waffe zur Vorbeugung von Magenkrebs wird. Schließlich kann durch die Entwicklung eines Impfstoffs gegen AIDS und/oder Herpes Simplex 8 auch dem Kaposi-Sarkom vorgebeugt werden.
Die Impfstoffe der Zukunft lassen auch für andere Krankheiten wie Parkinson und Diabetes hoffen.
Nossal hat die Impfstoffe der Zukunft in drei Gruppen eingeteilt. Impfstoffe, die in naher Zukunft (innerhalb von zehn Jahren) verfügbar sein werden, nämlich der Konjugatimpfstoff gegen Typhus und der Impfstoff gegen Meningitis-B; etwas später sollten Impfstoffe gegen Shigellose und ein universeller Impfstoff gegen Pneumokokken-Infektionen verfügbar sein. Impfstoffe gegen Malaria, Tuberkulose und AIDS werden vermutlich innerhalb von 10 bis 19 Jahren verfügbar sein. Andere, wie Autoimmunimpfstoffe wie Diabetes bei Jugendlichen und Zöliakie, sollen laut Nossal innerhalb von 20-50 Jahren zur Verfügung stehen3.
Interessant ist auch, dass der reichliche Erwerb immer neuen Wissens und die „transversalen Wissenschaft“ weitere neue Verbesserungsmöglichkeiten nicht nur für die Entwicklung neuer Impfstoffe, sondern auch für deren bessere Verwendung schaffen werden. Bereits jetzt wird die Health Technology Assessment bei der Impfprävention (HTA, ein Sammelbegriff für „ein Arzneimittel, ein Medizinprodukt oder medizinische und chirurgische Verfahren sowie Maßnahmen zur Prävention von Krankheiten oder in der Gesundheitsversorgung angewandte Diagnose- und Behandlungsverfahren) im Bereich der Impfprävention angewendet. Dies impliziert, dass die Zukunft alte und neue Herausforderungen birgt, denen man sich stellen muss, wie zum Beispiel: die Bevölkerung zu richtigen gesundheitlichen Entscheidungen zu erziehen, Bewegungen entgegenzuwirken, die Impfungen trotz fehlender wissenschaftlicher Logik ablehnen, Entscheidungsträgern zu helfen, komplexe gesundheitliche Probleme bestmöglich zu lösen, z. B. durch Impfungen4.
Quellen / Bibliographie
- Gasparini R, FrancoE . NUOVI VACCINI, NUOVI VACCINI PER L'INFLUENZA PANDEMICA (ultimo 01/04/2013)
- Sette A, Rappuoli R. Reverse Vaccinology: Developing Vaccines in the Era of Genomics. Immunity 2010; 29; 33(4): 530-541
- Nossal GJV. Vaccines of the future. Vaccine 2011; 29S: D111-D115
- Ricciardi W, Bamfi F. Descrizione dell’HTA e inquadramento metodologico del progetto sul vaccino anti-pneumococcico coniugato con la proteina D dell’ Haemophilus influeanzae non tipizzabile Synflorix™ (PHiD-CV). Italian Journal of Public Health 2009, 6 Suppl 5:S1-S4