Kinderlähmung
Die Poliomyelitis ist eine sehr ansteckende Infektionskrankheit und wird durch ein Enterovirus namens Poliovirus verursacht. Es greift das zentrale Nervensystem an, indem es die Nervenzellen zerstört und eine Lähmung verursacht, die in den schwersten Fällen zu einer vollständigen Lähmung führt.
Epidemiologie
Es gibt 3 Arten von Polio-Wildviren (Typ 1, 2 und 3), von denen sich derzeit nur Typ 1 in endemischen Ländern ausbreitet. Die Typen 2 und 3 wurden 2015 bzw. 2019 für weltweit ausgerottet erklärt, wobei die letzten Fälle 1999 in Indien für Typ 2 und 2012 in Nigeria für Typ 3 registriert wurden.
Weltweit hat das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte extensive Impfprogramm zur Ausrottung der Kinderlähmung es ermöglicht, die im Jahr 1988 rund 350.000 Fälle der paralytischen Krankheit auf aktuell 5 Fälle von Kinderlähmung im Jahr 2021 zu reduzieren.
Derzeit ist die Kinderlähmung nur in Afghanistan und Pakistan endemisch. Im Rest der Welt gilt diese Krankheit als ausgerottet. Dennoch besteht das Risiko eines Ausbruchs weiter, denn das Virus kann aus noch endemischen Gebieten importiert werden. Solange auch nur ein einziges Kind betroffen ist, besteht also weiterhin eine Infektionsgefahr.
Durch das Impfstoff-Poliovirus (cVDPV) verursachte Fälle sind zwar selten, aber es wird eine Zunahme aufgrund der geringen Immunisierung der Bevölkerung beobachtet.
Im Jahr 2020 wurden 1106 Fälle in 27 Ländern in 4 WHO-Regionen (Südostasien, Westpazifik, östlicher Mittelmeerraum und afrikanische Regionen) registriert, verglichen mit 5 Fällen im Jahr 2016 in 3 Ländern in 3 WHO-Regionen (Westpazifik, östlicher Mittelmeerraum und afrikanische Regionen) und 378 Fällen in 20 Ländern im Jahr 2019.
Übertragungswege
Das Virus überträgt sich nur von Mensch zu Mensch. Die Ansteckung erfolgt fäkal-oral, durch Aufnahme von Wasser oder kontaminierten Lebensmitteln oder durch Speichel und Tröpfchen, die durch Husten und Niesen von kranken Personen oder gesunden Trägern freigesetzt werden.
Anzeichen, Symptome und Komplikationen
Unabhängig von der Übertragungsart dringt das Poliovirus über den Mund in den Körper ein und vermehrt sich im Rachen und im Magen-Darm-Trakt. Es kann das zentrale Nervensystem erreichen, wo es die Motoneuronen beeinflusst, was zu Muskelschwäche und Lähmung führt. Nach der Ansteckung beträgt die Inkubationszeit 7 bis 10 Tage.
Die Krankheit kann in vier Formen auftreten:
- Asymptomatisch: Bis zu 70 % der Poliovirus-Infektionen verlaufen asymptomatisch. Auch Menschen ohne Symptome verbreiten das Virus über den Stuhl weiter.
- Mild/unspezifisch: Etwa 25 % der Infizierten entwickeln Symptome wie Fieber, Kopfschmerzen und Halsschmerzen, die in der Regel innerhalb einer Woche (2 - 10 Tage) abklingen. Diese grippeähnlichen Formen sind im Vergleich zu anderen Virusinfektionen schwer zu diagnostizieren.
- Nichtparalytische aseptische Meningitis: In 1 - 5 % der Fälle gelangt das Virus in das Zentralnervensystem und in den meisten Fällen entwickeln die Patienten eine nicht-paralytische aseptische Meningitis, die mit Kopfschmerzen, Nacken-, Rücken-, Bauch- und Gliederschmerzen in Verbindung mit Fieber, Erbrechen, Lethargie und Reizbarkeit einhergeht. Im Allgemeinen halten die Symptome 2 bis 10 Tage an und verschwinden danach völlig.
- Schlaffe Lähmung: Weniger als 1 % aller Infektionen führen zu schlaffer Lähmung. Es gibt drei Formen der paralytischen Poliomelytis: 1) die häufigste Form ist die spinale Form und manifestiert sich durch eine asymmetrische Lähmung, die hauptsächlich die Beine betrifft; 2) bulbopontine Form, eine Hirnnervenlähmung, evt. mit Lähmung des Atem- und Kreislaufzentrums; 3) die bulbo-spinale Form, die eine Kombination der ersten beiden ist.
Die Lähmung beginnt einige Stunden bis 2 - 3 Tage nach den ersten Symptomen und kann bis zu einer Woche lang fortschreiten.
Im Allgemeinen heilen asymptomatische oder milde/unspezifische Formen vollständig aus. Bei Personen, die nur eine aseptische Meningitis entwickeln, können die Symptome 2 bis 10 Tage anhalten, gefolgt von einer vollständigen Genesung.
Bei etwa zwei Dritteln der paralytischen Formen der Poliomyelitis sind die Muskelschwächen dauerhaft. Dies kann zu Skelettdeformitäten, Gelenkblockaden und Bewegungsschwierigkeiten führen: Zum Beispiel können Jungen und Mädchen eine Fehlbildung des Fußes (Pferdefuß) entwickeln, die sie daran hindert, normal zu gehen.
Die Sterblichkeit beider akuten paralytischen Form der Poliomyelitis beträgt in der Regel 2 - 5 % bei Kindern und 15 - 30 % bei Jugendlichen und Erwachsenen. Die Sterblichkeit steigt bei Formen mit bulbärer Beteiligung auf 25 - 75 %.
Zwischen 25 % und 40 % der Personen, die in der Kindheit an der Form der paralytischen Poliomyelitis gelitten haben, entwickeln nach etwa 15-40 Jahren neue Muskelschmerzen und eine Verschlimmerung der Schwächen oder das Auftreten neuer Schwächen/Lähmungen: Dieses Phänomen wird als Post-Polio-Syndrom bezeichnet.
Vorbeugung
Kinderlähmung ist nicht heilbar, aber die Krankheit kann durch Immunisierung durch Impfung verhindert werden.
Behandlung
Die Standardtherapie bei Kinderlähmung ist unterstützend und besteht in der Linderung der Symptome: Wärme und Physiotherapie können verwendet werden, um die Muskeln zu stimulieren, während krampflösende Medikamente die Entspannung fördern können. Dies kann die Mobilität verbessern, ermöglicht aber keine Erholung von dauerhaften Lähmungen.
Es existiert keine spezifische antivirale Therapie für die akute Form, aber Komplikationen, die sich aus einer längeren Liegedauer (z. B. tiefe Venenthrombose, Atelektase, Harnwegsinfektionen) und einer längeren Immobilität (z. B. Retraktionen) ergeben, können verhindert werden. Atemnot kann eine künstliche Beatmung erforderlich machen.
Quellen / Bibliographie
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